Ich spreche im Moment ungern über Führung, weil das ein tief tradiertes Verständnis von Organisation und Zusammenleben (nämlich dass es ein ´Oben´ und ein ´Unten´ gibt) gedanklich fortsetzt – es ist aber keinesfalls das einzige oder möglicherweise jetzt und in Zukunft sogar ein eher unwirksames Konzept. Viel mehr geht es aktuell mehr um Verbindung denn um Führung. Eine bestimmte Qualität von Verbindung jenseits des oberflächlich-Formalen scheint mir die wichtigste Haltung in der gegenwärtigen Situation zu sein, in Organisationen und im Zusammenleben insgesamt.
Drei Ebenen von Verbindung können unterschieden werden: Verbindung zu mir selber (physisch, psychisch und spirituell), Verbindung zu meinem engen Umfeld (beruflich wie privat), Verbindung zu etwas größerem Ganzen.
In der Verbindung zu sich selber ist zur Zeit ein konstantes, bewusstes Aussteigen aus aktionistischen Routinen wesentlich. Beim Lesen von Medien habe ich den Eindruck als ginge es (gewohnterweise) stets darum, nun das home-office zu optimieren, den optimalen Zeitplan für die Kids zu planen etc.etc. …also alles ´more of the same´. Wer spricht von Rückzug, von Nachdenklichkeit, vom Ausstieg aus Hektik und Unruhe. Ich halte zB kurze morgendliche und abendliche Meditationen für hilfreich oder einfach zwei bis drei Mal am Tag eine Besinnung zwischen all den Videotelefonaten einzuschieben: ´was mache ich denn da, was läuft denn eigentlich, wo bin ich unterwegs´. Wann, wenn nicht jetzt ist es angesagt, innezuhalten und gut zu beobachten wo Streß auftaucht, was Energie bringt und abzieht bzw. die vielfältigen Ängste anzuschauen und dann auch loszulassen. Das Tool ´the work´ von Byron Katie ist dazu besonders empfehlenswert, wann immer stressvolle Gedanken und Ideen auftauchen. Verbindung mit mir selber bedeutet also, jenseits des Formal-Kognitiven eine andere, zusätzliche Ebene zu nähren, zu vitalisieren.
Im nahen Beziehungsumfeld geht es im Moment um Caring im umfassenden Sinn. Jetzt darf geerntet werden was über längere Zeit an Samen gesät wurde. Die kleinen Samen von Support, Aufmerksamkeit und Wertschätzung tragen jetzt Früchte. Ist dieses Caring als Haltung wenig oder gar nicht vorhanden, ob in einem Team oder einer Familie, dann zeigen sich bald Symptome von Unzufriedenheit und Leere. Ich nenne die Qualität, die jetzt so notwendig ist, seit langer Zeit die Arbeit an ´tragenden Verbindungen´. Tragende Verbindungen wachsen durch zwei Haltungen und die daraus resultierenden Taten exponentiell: durch Unterstützung jeglicher Art und indem Verwundbarkeit, Schwäche und Nicht-Wissen gestattet und vorgelebt werden. Das gilt im Moment besonders auch in Teams oder Organisationen, die – in welcher Form auch immer — ´an der Kippe stehen´. Dort sind Durchhalte-Parolen und einseitiger Stärke-Fokus fehl am Platz. Tragende Verbindungen hingegen kreieren einen innovativen Space, der möglicherweise besser zum Überleben einer Organisation beiträgt.
Auch die Verbindung zu etwas größerem Ganzen scheint mir im Moment zentral. Otto Scharmer spricht von Ego versus Eco-awareness. Wir können also – individuell und als Gemeinschaft — den Stop-Knopf drücken, eine Pause einlegen, still werden, nachdenken und überlegen: was ist unser gemeinsamer Fokus und: wie können wir heute schon Schritte in so etwas wie Eco-awareness beschreiten. Im besten Fall kann die Disruption genützt werden, um in einer Gemeinschaft, einem Team zu schärfen, was losgelassen werden kann bzw. umgekehrt was wirklich essentiell ist. Den Sinn für das wirklich Wichtige schärfen, das ist im Moment eine zentrale Aufgabe für uns alle. Und da ist klar: wir werden neue Formen von Verbundenheit, Rücksichtnahme oder Übersichtlichkeit (Regionalität) entwickeln dürfen und gleichzeitig auch einen Sprung in Sachen Digitalisierung machen.
Ich empfinde größte Hochachtung vor Menschen, die im Moment mit sehr viel Aufmerksamkeit und Einsatz versuchen, Ihre Organisationen durch diese unvorhersehbare Krise zu manövrieren, dabei das wirtschaftliche Überleben der Organisation und das wirtschaftliche Wohlergehen der Beschäftigten und deren Familien gleichermassen im Blick. Da geht es nicht mehr um Wachstumsprozente, sondern um etwas ganz anderes, nämlich genau diese Sorge um das Ganze. Das ist im Grunde die Wirtschaft der Zukunft, eine Wirtschaft aus einem inneren Sinn und einem echten Bedarf heraus. Diese Sorge um das Überleben — vielleicht später abgelöst durch die Sorge um das ´gute Leben´ — entspricht sehr der karmischen Tugend ´eigenes und fremdes Eigentum schützen aus einer Haltung der Großzügigkeit´. Im Moment ist sehr viel Großzügigkeit zu beobachten – das sind die potenten Samen für die Zukunft.
Nicht die heldenhafte Führungskraft ist gefragt sondern die bescheidene. Die Krise, das weiß ich aus Coachings, fördert beide Optionen….der Anführer in der Schlacht, um den sich alles dreht, wird möglicherweise nach dem ersten Aktionismus weniger gefragt sein. Jetzt steht im Vordergrund, im Kleinen das Beste in anderen Menschen in einer Gruppe, einer Organisation zu fördern und so etwas wie Gemeinschaft, wenn auch meist auf Distanz, sicherzustellen. Und diese Form von bescheidener, fast möchte man sagen Anti-Führung, ist in keiner Weise an die formale Funktion gebunden. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Jetzt zeigt sich wer zu einer neuen Form von Führung jenseits von Hierarchie imstande ist.
´Managing the unexpected´ ist ein berühmtes Buch von Karl Weick und Kathleen Sutcliffe (´Managing the unexpected. Resilient performance in an age of unertainty. 2007). Ich beobachte zur Zeit eine große innere Sehnsucht bei Medien und vielen Menschen, alles wieder so herstellen zu wollen wie vor Corona. Mein Betrieb soll im selben Lokal wieder eröffnen, meine Lebensumstände ident sein, die abgesagte Reise nach Asien wird nachgeholt. Ich halte das für eine verständliche Sehnsucht und gleichwohl eine Illusion. Wir werden (nach einem Bild von Thomas Hübl) in einen reißenden Fluss geworfen: wir können schauen dass wir nicht untergehen, uns zwischendurch sogar wieder etwas erholen, dann das Ufer beobachten. Aber: weder hilft uns der Blick zurück zur Einstiegsstelle noch wissen wir, was uns erwartet wenn der Fluss ruhig wird und wir eine Chance haben, ans Ufer zu gehen. Wir gehen durch turbulente, nicht vorhersehbare Zeiten. Und was hilft: Bescheidenheit und Demut, absolutes Fahren auf Sicht und ein tiefes inneres Vertrauen, dass neue Lösungen entstehen werden.
Und noch etwas Abschließendes: die Situation wirft uns (in ganz unterschiedlicher Form…) auf unsere Werte, den tieferen Sinn unseres Tuns zurück. Zur Zeit hilft kein kluger purpose-Workshop mit schönen Folien. Zur Zeit ist da was da ist. Und die Frage ist brutal und simpel: gibt es jenseits von Geld, Macht und Performance etwas für das ich, für das wir gerne aufstehe? Wenn ja, ist alles gut.
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